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  • AutorenbildAnne Amaru

Ich lerne zu Hause - "Aprendo en Casa"

Aktualisiert: 31. März 2021

Nach dem Lockdown am 16.03.2020 hatte die peruanische Regierung große Anstrengungen unternommen, jedem Mädchen und Jungen die Fortführung des Schulunterrichts zu ermöglichen. Das sogenannte Bildungsprogramm "Aprendo en Casa" bietet eine Reihe von Aktivitäten, die von zu Hause aus durchgeführt werden können. Das Lernen soll dabei über die entsprechende Webseite sowie über nationale Radio- und Fernsehkanäle ermöglicht werden. Soweit die Theorie...

In der Praxis ...

... haben 12 von 100 ländlichen Haushalten in Peru keinen Strom und in vielen Regionen gibt es weder ein Telefonnetz noch ausreichende Möglichkeiten Internet zu empfangen. Aber auch wenn sie Strom haben, bedeutet dies nicht, das sie einen Fernseher oder gar einen Computer bzw. Laptop besitzen. Das einzige technische "Equipment" ist oft nur ein einfaches Handy, und die Kosten es regelmäßig aufzuladen sind für viele nicht einmal erschwinglich. Es gibt Kinder, die stundenlang laufen müssen, um überhaupt auf das Funksignal zugreifen und den Unterricht hören zu können.


"Beweisfotos"

Eine Mutter erzählt: "Lehrer verbinden sich über WhatsApp-Gruppen mit ihren Schülern und lassen sich jeden Tag Fotos schicken auf denen die Kinder vor dem Fernseher sitzen und den Kurs machen. Oft bekämen sie das gleiche Foto mehrmals zugeschickt...In der WhatsApp-Gruppe herrsche oft Chaos mit den Hausaufgaben und es dauere manchmal ewig die verschickten Arbeitsblätter wiederzufinden."

Da geben manche Eltern irgendwann auf und es ist schon lobenswert, wenn sie sich überlegen, was ihr Kind interessiert und dann selber aktiv werden und Material im Internet zusammen suchen. Wie in Deutschland kommen auch in Peru alle Kinder ein Schuljahr weiter und es wird kontrovers über "das verlorene Jahr" diskutiert: "Da die Schüler dieses Jahr eh automatisch ein Jahr weiterkommen, brauchen wir uns doch nicht zu stressen, die Belastung des Isoliertseins ist für die Kinder eh schon groß genug."


Auch Lernen will gelernt sein

So fehlt den Kindern oft nicht nur die Fähigkeit des "autodidaktischen Lernens", sondern auch die Durchhaltekraft diszipliniert an der virtuellen Schule dran zu bleiben, da der Kontakt zum "leiblichen" Lehrer und den Schulkameraden fehlt. Fragen, die sie haben, werden nicht direkt beantwortet und auf die Dauer macht es einfach keinen Spaß allein zu lernen. Schulen in Peru lehren den Kindern viel mehr als Lesen, Schreiben oder Rechnen. Sie bieten auch Dienstleistungen wie die Zubereitung von Essen und mentale Unterstützung und helfen damit der gesamten Familie. Eltern stehen vor einer ihnen bisher unbekannten, neuen Situation und sind psychologisch überfordert. Viele haben selber zu wenig Bildung genossen und benötigen ebenfalls Hilfe und Zuspruch, um den Kindern überhaupt eine Basis zum Lernen vermitteln zu können.


Umso länger die Situation andauert und die Kinder nicht zur Schule gehen, desto weniger wahrscheinlich ist, dass sie zurückkehren. Aufgrund der zunehmenden Verarmung ihrer Familien fangen sie an zu arbeiten, manchmal werden sie von ihren Eltern sogar auf die Straße geschickt, um z. B. Bonbons zu verkaufen.



Ich lebe in Peru in einer sehr ländlichen Umgebung. Vor einiger Zeit rief mich unsere Nachbarin wegen einer anderen Sache an. Bei der Gelegenheit fragte ich, was sie denn gerade so machten. Sie antwortete: " Ich bringe meiner Tochter etwas bei." Ich sagte: "Oh, prima" und fragte: "Was denn genau? Habt Ihr denn Internet im Haus?" "Nein", sagte sie, "ich zeige ihr Hausarbeit."


Kinderarbeit ist leider Normalität in Peru, wird aber von den Menschen auf dem Land nicht als etwas Falsches wahrgenommen. Sowohl zuhause als auch auf den Äckern arbeiten Kinder selbstverständlich mit, da es "immer schon so war" oder einfach für das Überleben der Familien notwendig ist.


Pandemie als Chance für Perus Bildungssystem?

Die Schulen blieben nach den Weihnachtsferien, die in Peru 3 Monate dauern und gerade im März 2020 zu Ende gehen sollten, wegen des "Shut down" geschlossen. Nun ist das Coronavirus seit September in Peru rückläufig mit "nur noch" ca. 2000 registrierten Neuerkrankungen pro Tag und es ist an der Zeit darüber nachzudenken, wie man die Kinder sicher in die Schule zurückkehren lässt. Jedoch soll diese erst im März 2021, also ein Jahr nach der Schließung, "mit großer Flexibilität" wieder geöffnet werden, natürlich unter den Vorschriften des Covid-19-Protokolls. Voraussetzung wäre die Bereitstellung von ausreichenden Hygienemaßnahmen, ausreichend belüfteten und geräumigen Klassenzimmern mit respektvollem Verwaltungs- und Lehrpersonal, dem man den Rücken stärkt, und eine zeitgerechte technologische Ausrüstung.


In den bereits vor der Corona-Krise erstellten Berichten von PISA, LLECE-UNESCO und peruanischen Studien wie "Niños del Milenio" (eine Langzeitstudie, die in Peru, Äthiopien, Indien und Vietnam durchgeführt wurde) wurde festgestellt, dass das peruanische Schulsystem eines der am meisten von sozioökonomischen Ungleichheit geprägte System des gesamten Planeten ist.


Die teuerste Privatschule in Lima kostete laut "Grupo Educación al Futuro" monatlich 1.530 US-Dollar mit einer zusätzlichen Aufnahmegebühr von 18.500 US-Dollar und jährlich steigender Tendenz! In Lima machte das Angebot an privat geführten Schulen 51 % der Bildungseinrichtungen des Landes aus. Unter diesen Bedingungen reproduzierte das peruanische Bildungssystem nicht nur die bestehenden Ungleichheiten des Landes, sondern verstärkte sie noch. Nur 1 von 10 junge Menschen aus armen Familien konnte zur Universität gehen, dagegen 5 von 10 aus reicher Herkunft.


Für das Jahr 2021 schätzt der Verband der Privatschulen bereits jetzt, das 5000 Privatschulen ihre Türen gar nicht mehr öffnen werden und insgesamt rund 250.000 Schüler nicht an ihre Schulen zurückkehren können. Das Bildungsministerium (Minedu) berichtete im Juli dieses Jahres, dass bereits 110.000 Schüler von privaten zu öffentlichen Schulen umgemeldet wurden, und dass insgesamt 125.000 Anfragen von Eltern eingegangen seien, die die Bildung ihrer Kinder nicht weiter finanzieren können.


Was Peru nun dringend bräuchte, wäre eine komplette Umstrukturierung des Erziehungssystems. Könnte die Pandemie uns geholfen haben, die Missstände im Land zu erkennen und die Gelegenheit für einen Wandel werden, um die Schritte einzuleiten, die die nächste Generation von Armut, Gewalt und Diskriminierung befreien?

Wird die Regierung entsprechend reagieren bzw. handeln...?

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